Digitalisierte Prozesse sind schneller und bieten eine Vielzahl an weiteren Möglichkeiten. Warum das dennoch nichts mit Einsparungen zu tun haben muss, wissen Marcel Ritter, Technischer Direktor des RRZE und Peter Reiß, Leiter der Abteilung Entwicklung, Integration, Verfahren (EIV), aus Erfahrung.
Peter, die Abteilung EIV ist sehr stark in die Digitalisierung von Prozessen an der FAU eingebunden. Kannst du sagen, wie viele Leute durchschnittlich an einem Digitalisierungsprojekt beteiligt sind und welcher Aufwand besteht?
Peter Reiß: Da kommt es auf die Komplexität an. Nehmen wir mal etwas vermeintlich einfaches wie den Homeoffice-Antrag: Da ist es ja schon der Antragsteller, der direkte Vorgesetzte, die Einrichtungsleitung, die Personalabteilung der Zentralen Universitätsverwaltung (ZUV), das Sachgebiet Arbeitssicherheit, der Datenschutz. Selbst bei so etwas vermeintlich Kleinem kommt man schnell auf zwei, drei Handvoll beteiligte Gruppen. Die müssen idealerweise alle vor der Umsetzung in einen digitalen Prozess interviewt werden und dann ergibt sich so langsam ein Bild. Denn hier fängt gute Digitalisierung an und es sollte bereits in dieser Phase kritisch hinterfragt werden, welche Teil-Prozesse wirklich (noch) notwendig sind. Idealerweise versucht man dann in diversen Iterationsstufen die aufgenommenen Prozesse auf das notwendige Maß zu verschlanken und erst dann geht es in die Programmierung. Heißt kurz und gut: Der Aufwand hängt davon ab wie komplex der Workflow ist.
Marcel Ritter: Man muss hier sagen, dass unser Homeoffice-Workflow auch in der Papierform sehr komplex war. Zum Vergleich: Es gibt andere Hochschulen, die haben ihren Homeoffice-Antrag auf einer DIN-A4-Seite untergebracht, indem sie den Antragsteller selbst Dinge haben bestätigen lassen, die bei uns durch verschiedene Hände laufen. Also einfach „Ausrüstung vorhanden“; „Arbeitssicherheit gewährleistet“; „Datenschutz wurde beachtet“, Unterschreiben, abgeben, fertig. Bei uns sind diverse Parteien involviert und trotzdem reicht das oft nicht: Bei größeren Einrichtungen wie dem RRZE ist es als Einrichtungsleiter schwierig, die Vereinbarkeit der Tätigkeiten im Homeoffice für alle Mitarbeitenden sinnvoll abzuschätzen. Das erfordert Rücksprache mit den Abteilungs- oder Gruppenleitungen, die im digitalen Workflow gar nicht vertreten sind. Aber das ist schon wieder ein Medienbruch – eines der Dinge, die man bei konsequenter Digitalisierung möglichst vermeiden sollte. Natürlich würde die digitale Umsetzung aber den Prozess wieder deutlich komplexer machen.
Man muss sich bereits am Anfang Gedanken machen, wo brauche ich den Krempel wirklich. Sonst ufert das aus und zum Schluss fragen sich alle, wo denn die Zeit hingegangen ist, um diesen letztlich vielleicht als mäßig wahrgenommenen Workflow umzusetzen.
Peter Reiß: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass alle, die eine bestimmte Aufgabe im Workflow haben, digital mit ihrer Rolle erfasst sein müssen. Und das ist gar nicht so einfach. Wir haben nicht universitätsweit in digitaler, maschinenlesbarer Form eine Auflistung: Für Person A ist Person B der direkte Vorgesetzte. FAU-weit gibt es noch nicht allzu lange – und das muss man sich immer mal vor Augen halten – eine Liste der offiziellen Einrichtungen inklusive der zugehörigen Einrichtungsleiter. Das hatten wir jahrzehntelang ebenfalls nicht – eigentlich kaum vorstellbar.
Marcel Ritter: Wenn in der analogen Welt ein Arbeitsvertrag unterschrieben wird, dann sollte das natürlich nur der Einrichtungsleiter machen können. Faktisch kann das aber Hinz und Kunz als Vertretung tun – sofern die Unterschrift nur unleserlich genug ist. Aber in dem Moment, in dem man den Prozess in die digitale Welt transferiert, muss sichergestellt sein, wer unterschriftsberechtigt ist – üblicherweise der Einrichtungsleiter und sein Stellvertreter. Dafür muss ich aber auch diese Information erst haben und pflegen. Das sind eigentlich Kleinigkeiten. An denen wird aber sehr oft deutlich, dass solche Strukturen und Informationen häufig schlichtweg fehlen.
Man kann all solche Ausnahmen auch in einen digitalen Workflow einbauen, aber dann explodiert der halt in der Komplexität.
Peter Reiß
Warum sind die Strukturen im Digitalen so entscheidend, die analogen Prozesse haben doch auch funktioniert?
Peter Reiß: Bei allem Analogen, wie Marcel gerade gesagt hat, kann man sagen: „Ich schreibe mal einen Papierantrag und klebe noch ein Post-it drauf.“ Und der Sachbearbeiter weiß dann: Die Person hat mir das dazu geschrieben, ich kenne sie, ich drücke jetzt mal ein Auge zu, und mache vielleicht Dinge, die nicht zu 100 Prozent dem Idealvorgehen entsprechen. Man kann all solche Ausnahmen auch in einen digitalen Workflow einbauen, aber dann explodiert der halt in der Komplexität. Das heißt, die Digitalisierung zwingt uns dazu, Strukturen auch wirklich zu folgen. Und das heißt wiederum, bevor oder spätestens, wenn man loslegt mit der Programmierung eines Workflows, muss man definitiv den gesamten Personenkreis definieren. Und zwar so, dass die Computersysteme das auch eindeutig auswerten können. Dazu müssen teils Automatismen zur Ableitung von Informationen aus diversen Quellen implementiert werden, aber manchmal bleibt auch nur die manuelle Pflege von Listen.
Durch die Digitalisierung von Prozessen fallen Auswertung oder Abheften von Formularen weg. Die Daten sind leichter abrufbar. Kann man da später nicht auch Geld sparen?
Marcel Ritter: Wenn man Digitalisierung mit genau dieser Zielsetzung angeht, dann sind Einsparungen theoretisch durchaus möglich. In der Praxis sieht das – fast immer – anders aus. Notwendige Verschiebungen der Aufgaben (und damit von Personal) erfolgen nicht in ausreichendem Maß. Hinzu kommt, dass mit den Digitalisierungsprozessen auch der Funktionsumfang steigt, einfach weil sich neue Möglichkeiten zum Beispiel im statistischen Bereich oder in der Automatisierung ergeben. Und mit dem Schritt vom analogen zum digitalen Prozess kommen aus allen Ecken und Enden die Begehrlichkeiten auf, was natürlich auch heißt, zum Schluss habe ich mehr Leistung aus dem gleichen Prozess. Dann zusätzlich auch noch mit Personaleinsparung zu rechnen, das halte ich für eine Milchmädchenrechnung.
Das heißt, die Leute wollen dann auch mehr, weil man merkt, was alles geht, und dann will man natürlich alles, weil Statistiken benötigt werden und dieses und jenes?
Marcel Ritter: Genau. Bei einem Prozess, der bisher papiergestützt läuft und der 20 laufende Meter Akten im Schrank produziert hat, kann man dem Kanzler oder Präsidenten wahrscheinlich ganz einfach verklickern, dass man vier Wochen braucht, um aus diesen Akten im Schrank eine schöne bunte Grafik zu erstellen. Wenn ich das aber digitalisiert habe und die Möglichkeit besteht, sämtliche von diesen Daten nach allen Regeln der Kunst irgendwie zusammenzustellen, dann ist es aus irgendwelchen Gründen nicht in die Köpfe der Menschen reinzukriegen, dass auch das Arbeit macht. Es macht sicherlich nicht die Arbeit, wie 20 Meter Akten aufzubereiten. Aber jemand muss trotzdem wissen, welche Daten vorhanden sind und wie man davon eine Auswertung machen kann. Wie stelle ich die ausgewerteten Daten dem Stakeholder zur Verfügung? Und das erfordert wiederum andere Skills, womit wir wieder beim Thema Aufgabenverlagerung und Personalwandel sind.
„In der digitalen Welt wird sehr oft erwartet, dass Realisierungen mit null Aufwand funktionieren.“
Marcel Ritter
Klar, die Bereitstellung muss ja dann auch für die Stakeholder verständlich sein.
Marcel Ritter: In der digitalen Welt wird sehr oft erwartet, dass Realisierungen mit null Aufwand funktionieren. Was aber schlichtweg in die eigene Tasche gelogen ist. Auch da muss irgendjemand die Arbeit machen. Im Idealfall macht man die Arbeit einmal und kann sie dann per Mausklick wiederholen – natürlich mit den üblichen Nacharbeiten. Aber trotzdem muss das einmal gemacht werden. Wenn man sagen könnte: Man hat die Sachen einmal normiert und die Sachen würden auf alle Ewigkeit gleichbleiben, dann könnte man auch im Nachgang die digitalen Prozesse schlank halten. Faktisch würde ich behaupten: Bei uns kommt alle Viertelstunde jemand auf die Idee irgendeine Statistik neu zu bewerten oder eine Gruppe von irgendetwas rauszunehmen und eine andere reinzunehmen. Ja, und dann heißt es halt wieder: Irgendjemand muss an den Kram ran, muss es aufarbeiten. Und jede Anpassung kostet Ressourcen.
Peter Reiß: Ich glaube zusammenfassend ist es einfach so, dass die Aufgaben wachsen. Die ganzen Aufgaben, die jetzt geleistet werden von der Uni – sei es in der Verwaltung oder sei es bei uns – wären ohne Digitalisierung ja gar nicht möglich. Aber leider wird jegliche Effizienzsteigerung durch Digitalisierung dann meist sofort durch neue Aufgaben aufgefressen.
Vielen Dank für diesen Einblick!
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Technisch wären wir nicht so weit weg
Das Gespräch führte Corinna Russow